Gott hat Sehnsucht nach uns!
Liebe Brüder und Schwestern!
Mit dem Heiligen Abend sind wir einmal mehr in das Weihnachtsfest eingetreten, das uns im Festgeheimnis die unglaubliche Botschaft übermittelt: Gott wird Mensch. ER wird einer von uns.
Gott setzt neu an
Das Johannes-Evangelium spricht darüber in markanter Sprache: "Im Anfang war das Wort … Das Wort war Gott … und das Wort ist Fleisch geworden." (Joh 1,1.11) Der Evangelist Johannes setzt mit seinem sogenannten Prolog ganz zentral an und stellt eine gedankliche Brücke her, indem ER uns den Anfang der Welt, den Beginn der Schöpfung in Erinnerung ruft: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde … und Gott sprach: Es werde Licht." (Gen 1,1.3) So beginnt die Heilige Schrift. So beginnt Gottes Botschaft für uns.
Mit der Menschwerdung des Wortes – so dürfen wir den Johannes-Prolog deuten – setzt Gott neu an, beginnt ER eine neue Schöpfung. Gott begibt sich nun selbst mitten hinein in unsere Welt, in seine Schöpfung, um sie von innen her zu erneuern, sie neu zu gestalten.
Gott überrascht uns
ER wählt einen Weg, der für uns völlig überraschend ist. Ganz anders als wir es uns vorgestellt hätten. Gott kommt nicht triumphal; ER wählt nicht den Weg der Macht und Gewalt. ER kommt völlig hilflos: ER kommt als Kind – als schwaches Kind, angewiesen auf Hilfe. ER ist der ganz Andere, der Sohn des unendlichen Gottes – ER wird Mensch; einer von uns.
Gott spricht sein Wort der neuen Schöpfung nicht von oben herab, sondern ganz konkret hinein in unser Leben, in unsere Existenz. – Damit begegnet ER uns auf Augenhöhe. ER steigt auf unser Niveau herab. ER ist so frei, dass ER sich ganz weit herabbegeben kann. Seine Allmacht und seine unerreichbare Größe sind für IHN nicht alles. ER ist in seiner Liebe so frei, dass ER sich herabbegeben kann – dorthin, wo wir sind. Was später einmal im Abendmahlsaal geschehen wird, wo Christus den Jüngern die Füße wäscht, wo der Schöpfer vor dem Geschöpf kniet – das nimmt seinen Anfang im Geheimnis der Menschwerdung: Gott macht den Kniefall vor dem Menschen. ER lässt sich auf unsere Situation ein. ER identifiziert sich mit uns. – So ist ER tatsächlich der "Immanuel" geworden, der "Gott mit uns", von dem uns nichts mehr trennt, zu dem wir ohne Scheu "Du" sagen können.
Gott kommt nicht mit Macht und Gewalt, ER kommt ohne Waffen, weil ER nicht von außen erobern will, sondern von innen her gewinnen will, von innen verwandeln will.
Gott hat Sehnsucht nach uns
Der große Denker Augustinus hat die Botschaft von Weihnachten in die Worte gefasst: "Die Sehnsucht Gottes ist der Mensch!" Die Evangelien bestätigen das Kapitel für Kapitel. Gott bricht zu uns auf. Gott geht auf uns zu. Gott kommt in unsere Welt. IHM ist unser Leben, unser Leiden, unser Heil oder Unheil nicht egal. Gott selbst begibt sich in Jesus Christus ganz und gar hinein in unsere Welt – als einer von uns. ER teilt alles mit uns, leidet mit uns und für uns, ja ER teilt sogar das Todesschicksal. ER interessiert sich brennend für uns, wie dies nur einer tun kann, der in Liebe für uns brennt.
ER tritt in unser Leben und bleibt in unserem Leben. ER will unser konkretes Leben mitleben. ER gibt uns Zukunft. Weihnachten hält in uns dieses Urwissen lebendig und wach: Gott hat Sehnsucht nach mir. ER sucht mich. ER braucht mich. Ich bin IHM wichtig.
Weihnachten öffnet den Blick auf den Mit-Menschen
Wenn ich mich als Christ dieser Wirklichkeit öffne – "Gott hat Sehnsucht nach mir" – hat das auch Konsequenzen für mein Leben: konkret im Umgang mit meinen Mitmenschen. Der Blick auf das Kind in der Krippe kann uns helfen, das Bedürfnis der Menschen nach Geborgenheit und Anerkennung und Liebe zu erkennen und zu leben.
Wer den Weg zur Krippe geht, findet dort den Weg zu Gott und zum Mit-Menschen!